Der Herzschlag eines besonderen Moments. Die Idee zu In den letzten Tagen der Stadt ist 2006 entstanden, als im Irak und im Libanon der Krieg wütete. Bei Beginn der Dreharbeiten, gegen Ende des Jahres 2008, hatte gerade die weltweite Finanzkrise eingesetzt, der Gaza-Krieg war im Gang und in Ägypten fanden täglich Protestkundgebungen statt, die soziale und politische Veränderungen einforderten. Ein alt gewordener Diktator, der seinem Sohn die Macht vererben wollte, extreme Armut inmitten von Luxus und Korruption – es war zu spüren, dass die Dinge so nicht weitergehen konnten. Der Film sollte ein Dokument dieser Ereignisse sein; er ist an der Grenze zwischen Fiktion und Realität angesiedelt. Das Drehbuch hatten Tamer El Said und Rasha Salti im Jahr 2007 fertiggestellt.
Es bildete die Seele des Films, war aber so offen konzipiert, dass der Film auf das Leben in den Städten und die Menschen, um die es darin gehen sollte, reagieren konnte. Mit Ausnahme von Khalid und Laila spielen alle Figuren im Film sich gewissermaßen selbst. Die Geschichten von Hanan und Mariam, die auf sehr persönliche Weise von Verlusten erzählen, werden im Stil eines Dokumentarfilms erzählt. Khalids Mutter wird von Tamers Mutter gespielt.
Seine drei Freunde sind Filmemacher, die sich bei der Arbeit kennengelernt und dann beschlossen haben, bei In den letzten Tagen der Stadt zusammenzuarbeiten. Es war eine große Herausforderung, die Besetzung und die Crew zusammenzubekommen. Das war 2008 abgeschlossen, aber zu diesem Zeitpunkt standen erst weniger als fünfzehn Prozent des Budgets bereit. Um die Dreharbeiten nicht verschieben zu müssen, entschieden alle Beteiligten, dass der Film jetzt oder nie zustande kommen musste. Darsteller und Crew schlugen alle Vorsicht in den Wind, erklärten sich mit einem Aufschub ihrer Bezahlung einverstanden und begannen guerillamäßig zu drehen. Ursprünglich waren drei Monate für die Dreharbeiten eingeplant, am Ende dauerte die Arbeit, bis der Film ganz fertig war, zwei Jahre und drei Winter. Ohne die Beharrlichkeit und die Bereitschaft sämtlicher an dem Projekt Beteiligten, die ihr Leben den teilweise unvorhersehbaren Erfordernissen des Projektes anpassten, hätte In den letzten Tagen der Stadt niemals realisiert werden können. Die Dreharbeiten bedeuteten fortwährendes Improvisieren: Drehorte standen plötzlich nicht mehr zur Verfügung, was hieß, neue zu finden; Schauspieler fielen aus, was hieß, Handlungsstränge zu
ändern; Ereignisse fanden statt, die wir filmten und in den Film integrierten; es galt, eine Gruppe von Investoren und Finanziers zu überzeugen, für das Projekt Risiken einzugehen. Die ganze Zeit über war Tamers Mutter krank. Leider starb sie einige Wochen vor Abschluss der Dreharbeiten. Völlig erschöpft kehrten die Mitglieder des Filmteams im Dezember 2010 in ihr Alltagsleben zurück. Sechs Wochen später brach auf den Straßen Ägyptens die Revolution aus, Mubarak wurde gestürzt.
Es ist, als sei dieser Film, dessen Titel übrigens lange vorher feststand, mit einer Vorahnung für die kommenden Ereignisse entstanden; gleichzeitig war es von Vorteil, beim Schnitt aus der Rückschau auf den Ausgang der Ereignisse blicken zu können. Alles, was der Film eingefangen hat, erhielt plötzlich eine andere Bedeutung als zuvor, und mit jeder weiteren Wendung im rasenden Verlauf der Ereignisse kamen neue Bedeutungen hinzu. Während wir am Schneidetisch mit Material im Umfang von mehr als 250 Stunden rangen, fanden Massendemonstrationen statt, das Land wurde erschüttert. Alle Teammitglieder waren parallel zu dem Projekt an diesen Ereignissen auf ihre Weise beteiligt. Ein wesentlicher Aspekt bei unserer Arbeit war der gemeinsame Wunsch, die Hindernisse zu überwinden, die es so schwer machen, einen solchen Filme zu realisieren. Tatsächlich war für die Realisierung dieses Projekts das Gefühl entscheidend, dass es großer Opfer bedarf, um über die Trivialisierung arabischer Geschichten und Bilder als Klischees und Nachrichtenstoff hinauszugelangen. Uns war bewusst, dass sehr viele Probleme des arabischen Films mit der schlechten Infrastruktur zusammenhängen. Im Rahmen einer größeren Bewegung in der ganzen Region betrieben wir in Kairo die Gründung eines alternativen Filmzentrums, der Cimatheque, die als voll ausgestattete Anlaufstelle für Bildungsarbeit und Filmvorführungen ägyptischer Filmschaffender dienen sollte. Das Zentrum wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren aufgebaut, ging 2012 teilweise in Betrieb und ist seit Juni 2015 schließlich offiziell eröffnet. In den letzten Tagen der Stadt war ein herausforderndes Projekt, das der Zusammenarbeit von Menschen aus vielen Ländern bedurfte, die sich über Rollen und Regeln hinweggesetzt haben, um einen scheinbar unmöglichen Film zu realisieren – die Suche nach dem Herzschlag eines außergewöhnlichen Moments.
- Tamer El Said